Project Description
Dolomiti Super-Vespa
Es riecht ein bisschen wie nach Ziege. Beim Anbremsen vor der nächsten Tornante kichert es hinter dir. Was auch ein wenig wie nach einem Meckern klingt. Ziege? Ziege! Du kannst sie wittern. Könntest der Nase nach fahren, wenn du die Abzweigung verpasst hättest. Doch die Ziege wäre nicht das Fortbewegungsmittel der Wahl Ende Mai 2022 bei der ganz privaten Dolomiti Super-Vespa, die wir hier fahren. Was in der Luft hängt, ist das Renn-Öl, auf das Marcus schwört. Und das er alle 100 Kilometer in den Sprit mischt, um seiner Faro Basso Futter geben zu können – und ein paar Minuten später wieder die Sporen. Acht Freunde, acht Vespen der Baujahre 1956 bis 1970, alle ein bisschen – sagen wir – zweckoptimiert. Mit Hubraum statt Spoiler. Für deutlich mehr Fahrspaß und Adrenalin.
Es sind tausende von Kurven und Kehren, zehntausende Höhenmeter, die wir drei Tage lang mit dem größten Vergnügen naschen mit Start und Ziel in Pfalzen oberhalb von Bruneck. Pordoi, Giau, Falzarego, Campolongo, Sella. Rauf. Runter. Reinlegen in die nächste Kehre. Pause. Cappuccino. Pizza. Espresso. Und weiter. Unterwegs laufen die acht Roller immer wieder auf die fetten Sportler auf: Corvetten aus der Schweiz, Porsche aus Deutschland. Vorbeikommen ist schwierig, klar. Aber für große Augen im Rückspiegel reicht es auf jeden Fall, wenn der Pilot merkt, dass 400 PS halt auch nur auf dem Papier nach Leistung satt klingen – und die Vespa im Spiegel halt leider nur auf den kurzen Geraden hier oben, wo die Luft dünn ist, kleiner wird. Und dann wieder spiegelfüllend groß.
Motorradfahrer, eingepackt in dicke Lederkombis, deren GSen und Multistradas das volle Ausrüstungspaket an Koffern die Pässe hochschleppen, recken die Daumen in die Höhe, wenn sie uns entgegenfliegen. Oder wundern sich, warum sie an den alten Mühlen einfach nicht vorbeikommen können. Oben, bei den Zwischenstopps, sind es nicht die chromblitzenden Harleys, die die Blicke der Wanderer oder Radfahrer, die sich die Pässe hochquälen, auf sich ziehen. Es sind die Vespen. „Wie alt ist die?“, ist die erste Frage. „Schafft die das denn alles?“, oft die zweite. Und viele erinnern sich an die eigene Jugend, als sie so etwas auch in der Garage hatten. Oder als die Vespa die erste Möglichkeit war, mit dem Herzbuben ein bisschen auf Tuchfühlung zu gehen. „Ja, da wird die Erinnerung wach“, sagt die ältere Südtirolerin, die vom Einkaufen kommt und sich in Pfalzen erst einmal jeden Roller einzeln anschaut.
„Braucht’s des“, würde Gerhard Polt fragen. „Braucht’s das?“ Musst du das deiner Vespa antun? Einem Gerät, dessen Zweckbestimmung die Fortbewegung war. A nach B. Zur Arbeit, zum Einkaufen. Bella figura machen vor dem Caffè. Nicht der Einstieg in den Berg-Rennsport.
Klar, geschraubt haben wir auch. Hier mal eine etwas indignierte Kupplung mit belagstechnischer Auflösungserscheinung und einer Mutter, die keinen Bock mehr auf Kurblewelle hatte, dort mal eine Vergasereinstellung, der einfach alles zu fett war. Oder eine Zündspule, die nicht ganz dicht war. Und deren Wasserinhalt das Zünden leicht vermasselt hat. Aber die Herausforderung ist das Salz in der Suppe – oder der Speck in den Knödeln, die es unterwegs gibt. Neben Spinat und Käse. Oder der Duft nach Ziege, der auch daheim in Bayreuth noch im Hoodie hängen geblieben ist. Zum Nachschnuppern der Erinnerung dreier herrlicher Tage, an Adrenalin, an herrlich klare Höhenluft. Und der Gewissheit, wiederzukommen irgendwann. Weil: „Des braucht’s halt doch einfach!“
Diesen Nervenkitzel, mit acht oder zehn Zoll kleinen Schubkarrenreifen über brüchigen, aufgerissenen Asphalt zu schnüren. Mit Trommelbremslein an der Überforderungsgrenze in die Kurven zu bremsen, in denen der Rest der Motorrad-Armada mit ABS-geregelten Scheiben hinein ankert. Und dann wieder am Hahn zu drehen. Um ein paar weitere Sätze ins eigene Vespa-Geschichtsbuch schreiben zu können. Die dann mit Falzarego oder Sella anfangen. Oder mit Seiser Alm. Pordoi. Giau. Oder diesem unfassbar flüssig fahrbaren Nigerpass. Das Ziegen-Öl, übrigens, das bestelle ich mir jetzt auch.