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55 – Der Amazon

55 – was für eine wunderbare Schnapszahl. 55 – was für ein wunderbares Alter. Bei Autos nicht selbstverständlich. Deswegen ist das ein Grund für eine kleine Liebeserklärung an genau dieses Auto. Den Volvo Amazon. Meinen. Journalistisch ist es ja eher ungeschriebenes Gesetz: Über dich selbst schreibst du am besten nicht. Gar nicht. Aber wer soll bitte über meinen Amazon schreiben? Wer hat das Ding seit 27 Jahren – so lange wie kein Besitzer vor mir? Ich. Also.

17. Oktober 1967. Das ist das Datum, an dem der Volvo Amazon – damals als P 131 – irgendwo im Süden Schwedens zugelassen worden ist. In Lichtgelb lackiert, mit dieser dunkelroten Innenausstattung, die es nur 1967 gab. Mein Freund Alex hat ihn mir 1995 im Sommer mitgebracht aus der Helsingborger Ecke. Mit vier  Vorgaben: B20-Maschine – die dicke eben. Doppelvergaser. Tiefbettfelgen. Zweitürer. Hey, Coupé-Style! Irgendwann ruft er an, das mit den Bildern und den Telefonen ließ sich damals logischerweise noch nicht vereinen, wir haben da ja auch noch Cassetten gehört, und sagt: „Ich hab dein Auto. Preis passt. Schwarz isser.“

Damals gerade frisch für irgendwelche Rennen aufgebaut, kommt das Teil nach Bayreuth. Liebe auf den ersten Blick, Schmetterlinge im Bauch, obwohl er noch nicht mal der echte Oldtimer war. Die 30 noch zwei Jahre entfernt, das H-Kennzeichen eher Lichtjahre. Ein bisschen verlebt. Knallhart. Extrem tief. Abgesägte Federn statt austariertem Sportfahrwerk, so wie das die coolen Schweden eben gemacht haben. Gefühlte vier Schwarz-Töne, die sich im Laufe der kommenden Jahre noch verdoppeln sollten. Denn es war ja immer ein bisschen was. Hier mal ein Rostfleckchen, da mal eins. Und geschont wird er nicht. Er fährt bis nach Schweden, im Sommer jeden Tag zu irgendwelchen Terminen mit mir. Am Nürburgring beim Oldtimer-Grand-Prix ist er als Zaungast dabei. Pannenfrei. Bei den verschiedenen Rallyes wie der ersten Wieder-Auflage der Metz-Rallye oder den Wagnerstadt-Historic-Gleichmäßigkeiten des AC Bayreuth ist er am Start, sammelt unzählige Meter auf dem Halda-Tripmaster. Eine Spaßmaschine.

Nur im Winter muss er nicht ran. Darf in Scheunen, Garagen, Hallen überwintern. Bis er nach einer dieser Winter-Schlafereien Rostringe um die Augen hat. Fäulnis am Kotflügel, am anderen auch. Trauriger Blick. Denn er scheint gewusst zu haben: Es gibt nur zwei Wege – in die Presse oder der Griff in die Schatulle. Doch er hat Glück. Die Liebe siegt, er bekommt den zweiten Frühling. Und er bekommt seine alte Farbe zurück, die ich im eher lieblos rausgespritzten Motorraum entdecke, wo sich das Schwarz leicht abwaschen lässt.

Der Lackierer macht einen geilen Job: Der Lack schmeichelt satt den Rundungen, streichelt die angedeuteten Heckflossen und formt fast schon sündig diesen amerkanischen Powerdome aus der Haube heraus, was mich jedes Mal neu begeistert, wenn ich – nach einer Woche oder nach einem Winter Standzeit – die Decke lupfe und er in seiner ganzen filigranen Opulenz des schwedischen Designs vor mir steht. Ja, er ist wunderschön. Die meisten lächeln anerkennend, wenn du an ihnen vorüberfährst, weil er nicht beliebig ist. Schlank. Sportlich. Drahtig. Und trotzdem irgendwie edel. Weil er von hinten ein bisschen an einen Rolls erinnert mit seinem runden Kofferraumdeckel und den schmalen, stehenden Rückleuchten.

Für jemand wie mich, der alle zwei Wochen einen Autotest machen darf, der ein paar hundert Autos neuester Machart – darunter auch leider den allerletzten Saab – schon unter dem Hintern hatte, ist das Einsteigen in den Amazon immer so, als würde ich mit dem Zuschlagen der Tür knapp 30 Lebensjahre abstreifen. Eine Zeitmaschine. Ich muss lachen, wenn ich das Schlüsselchen im blechernen Amaturenbrett umdrehe, den Choke ziehe. Und genau weiß: Die Sau, die lässt sich bitten. Es dauert ein paar Augenblicke, bis der Öldruck steht. Bis die Zündfunken vom Verteiler zu den Kerzen tanzen. Bis die zwei Vergaser das Gemisch in die Brennräume rotzen.  Bis dann alle vier Töpfe auch wirklich mitspielen wollen. Und es dann hinten aus dem Edelstahltopf rausgrollt. Echter Klang. Nichts Synthetisches. Keine Lautsprecher. Ja, Freunde, da tropft echtes Adrenalin raus.

Auch wenn der zwei Liter große Vierzylinder mit der Traktor-Genetik schon durch seine unten liegende Nockenwelle kein Rennmotor ist: Er fühlt sich so an! Die zwei Vergaser brüllen ihre Lebensfreude in die logischerweise ungedämmte Haube, als stünden sie als Heldentenöre auf dem Grünen Hügel. 60 fühlt sich wie 100 an. 100 wie 160. Du bist überall verdammt schnell. Gefühlt und in echt. Das Fahrwerk ist nur so lange verbindlich, wie das unbelastete Heck nicht Lust auf Tanzen bekommt. Der Amazon fordert jede Faser deiner Aufmerksamkeit. Nachlässigkeiten, unsauber angefahrene Kurven, würde er fallbeilhaft bestrafen. Feuchte Straßen verlangen nach einem sensiblen rechten Fuß. Denn der Viererpack mit seinen 100 plus irgendwas PS schiebt mit dem kurzen Getriebe mächtig an. Driften? Ja, bitte! Auch mit 55 ist der Amazon alles. Nur kein altes Eisen.

Und er zeigt mir jedes Mal aufs Neue, was Autofahren eigentlich ausmacht. Was man dazu wirklich braucht: Ein Auto, das – obwohl aus dem viel zitierten Schwedenstahl – keine 1000 Kilo auf die Waage bringt. Ein paar dicke Reifen, kernig zupackende Bremsen. Und eine Ergonomie, wie du sie in modernen Autos oft auch nach langem Suchen nicht findest. Das Lenkrad steht steil, der lange, dünne Schalthebel liegt perfekt zur Hand. Die Handbremse ist links vom Sitz, dass dir keiner reingrätschen kann, wenn er Angst bekommt. Einparken geht mit viel Schmalz im Oberarm im Prinzip auf dem Bierfilzla, weil du nach vorne, nach hinten, nach schräg vorne und schräg hinten: alles perfekt sehen kannst.

Ja, Amazon, man könnte sich heute eine Scheibe von dir abschneiden. Entspannt gefahren, gehen sich acht oder neun Liter Super Plus aus. Du frisst mir nicht die Haare vom Kopf. Und in 27 Jahren ist die alte Hütte nur ein einziges Mal nicht gefahren. Weil die Benzinpumpe gedacht hat, sie hat keinen Bock mehr. Zwei Schrauben am Block am Straßenrand gelöst, Benzinschlauch auf beiden Seiten wieder drauf. Läuft!

Der Amazon ist das beste Beispiel dafür, dass alte Autos keine Sparbüchsen sein müssen. Dass sie Lehrmeister sind. Dafür, die Sinne zu schärfen, wach zu sein beim Autofahren. Hinter dem Nardi-Lenkrad würdest du nie auf die Idee kommen, dämlich eine Nachricht in dein Wischkästla zu tippen. Es wäre deine letzte. Auch dafür mag ich ihn so gern, dass ich mich auf die nächsten Jahrzehnte freue. Bei jedem Start mit einem Grinsen im Gesicht, den leichten Fahrtwind der hinteren Ausstellfenster in den Haaren.

Den schick ich auch nicht in Rente, wenn er 65 ist. Da hat er leider Pech.