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Erstes bayerisches Zementbahn-Rennen

Eine Szene, die ans Herz geht, setzt einen wunderschönen Schlusspunkt eines ziemlich irren Wochenendes. Es ist dieser kleine Bub, der mit seinem Laufrad und seinem roten Helm und dem roten Körbchen vorn am Radl dran über die Côte d’Azur rollt. Einen Fuß setzt er flink vor den anderen auf dieser dicken blauen Linie, die die Rennbahn, die 333,33 Meter lange Zement-Rennbahn des Isar-Radstadions in Niederpöring, vom Fußballplatz des SV Niederpöring trennt. Und ein paar hundert Mann auf der Tribüne klatschen ihm zu, feuern ihn an, ermuntern ihn zu einer zweiten Runde. Zu 666,66 Metern mit dem winzigen Laufrad. Und einem ganz, ganz stolzen Lächeln.

Eine bayerische Premiere

Diese kleine Momentaufnahme ist irgendwie sprichwörtlich für ein Festival, das es so zumindest in Bayern noch nicht gegeben hat. Raphael Knespel und sein Team, seine vielen Helfer, haben das Herz in die Hand genommen und das erste bayerische Zementbahn-Rennen aus der Taufe gehoben. Und haben eine Premiere gezaubert, die zwar zehn Sieger hatte, die selbst kreierte Pokale golden glänzend in die Höhe recken konnten. Aber eben auch knapp 200 Gewinner. Die ein Wochenende in der Steilkurve gelebt haben. Auf der Vespa. Zwischen zwei kurzen leicht geneigten Geraden und zwei steilen Kurven mit 27 Grad Neigung.

Wahrscheinlich ziemlich bekloppt, mit der Vespa Rennen zu fahren

Ja, wahrscheinlich ist es ziemlich bekloppt. Rennen fahren mit der Vespa. Die meisten davon nicht nur über 60 Jahre alt und in ihrer jeweiligen Originalität Einzelstücke – was sie einen Haufen Geld wert macht. Aber es ist halt leider auch ziemlich geil, wenn du beim Le-Mans-Start das Adrenalin in den Adern pochen fühlst. Wenn du spürst, wie sich deine Wadeln beim Runterzählen des Countdowns straffen, sich der Oberkörper nach vorne neigt. Vier. Drei. Zwei. Eins. Null! Und du in Richtung deiner Vespa rennst. Die schräg vor der vom niederbayerischen Regen gefluteten Rennbahn parkt. Mit gewaltig Respekt vor dem Grip springst du auf. Grip, der hoffentlich da ist. Wenn es dann nach einem herzhaften Kick für dich mit 20 anderen genauso Angefixten gegen den Uhrzeigersinn ins Rennen geht. Das Rennen gegen die Uhr. Zehn Minuten der erste Lauf. Drei Rennen zu je fünf Minuten hinterher. Auf den Punkt genau sollst du nach zehn – oder eben fünf – Minuten wieder auf der Linie landen, die die Spreu vom Weizen trennt. Und die jeder treffen kann. Egal, wie viele Runden er fährt. Egal, wie schnell er fährt. Egal, ob er mit einem Ciao SC antritt, mit einer Fuffi mit 30 PS und 12.000 Umdrehungen mit Reso-Kick um die Bahn hagelt. Oder mit einem fein austarierten Pinasco oder Quattrini den Dampf aus dem Drehzahlkeller schöpfen kann.

Wenn der Respekt dem Spaß weicht

Das Vertrauen, das du am Freitag, dem Tag vor dem Rennen, bei bestem Wetter in die Bahn, in dich und deine Vespa aufbauen konntest, kommt nach der ersten Runde wieder. Die Angst vor dem Abflug weicht dem Spaß. Und der dem Flow. Du musst eigentlich gar nicht wie verrückt am Gasgriff drehen. Gleichmäßig fährt am besten. Und bei feuchter Bahn heißt es sowieso: Wer bremst, verliert. Im schlimmsten Fall die Kontrolle und die Kiste. Was zum Glück ausbleibt bei den 184 Rennfahrern dieses Wochenendes.

Ein Spaß mit Regeln

Das Leben in der Steilkurve also. Ein Spaß mit Regeln. Die dem Spaß einen wichtigen Rahmen geben. Ohne ihn ernsthaft zu bremsen. Die Côte d’Azur, die dicke blaue Linie, ist die Grundlinie. Zwischen der schwarzen und der roten rollt der, der das Feld anführt. Überholt wird rechts. Rechts der roten Linie. Und rechts der blauen. Wer überholt hat, fährt wieder runter. Und ist oben genauso schnell wie unten zwischen schwarz und rot. Da es auf der Rennbahn wie im richtigen Leben ist, muss der Rennleiter den einen oder anderen Vespisto, der rechts der blauen Linie den Traum des Mittelspur-Schleichers träumt, wieder an die Zementbahn-Verkehrsordnung erinnern. Damit er nicht den Verkehr behindert. Oder gar zu riskantes Überholen ganz oben forciert.

Es ist Gänsehaut

Ja, es ist Gänsehaut. Es ist Rennsport. Zu spüren, wie die Fliehkraft anpackt. Wie sich das Limit Runde für Runde verschiebt. Die magische Zahl 20 für die Sekunden, die du eigentlich nicht pro Runde unterschreiten solltest, schmilzt wie das Eis im Spritz in der Sonne über Niederbayern. In dem Schmelztiegel der Vespa-Verliebten und -Verrückten. Die meisten irgendwo jenseits der 40 und seit Jahrzehnten eh ein verschworener Haufen zwischen der richtigen Vergaser-Abstimmung, der korrekten Zünd-Einstellung und dem Messen der noch potenteren Ein- und Auslass-Zeiten. Die in einheitlicher Team-Kleidung antreten wie die Hoffmann-Rennstaffel oder der Vespa-Club München – oder das Vespa-Team Franken – wie die einstigen Werksfahrer aus Pontedera. Um dann alle bunt gemischt bei einem Stück Pizza aus der feuerroten Steinofen-Ape oder einem Burger von der grünen mit dem Grill und einem Bierchen in der Hand nach dem Rennen über die erfolgreichste Linie oder ganz einfach den Spaß am Leben zu philosophieren. Denn genau das ist es, was die Gemeinschaft der Vespisti ausmacht. Alle irgendwie auf Augenhöhe.

Die Hoffnung auf eine Neuauflage