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Scuderia Stelvio – Die Jäger der Tornante

Der Täter kehrt ja oft zum Tatort zurück. Was in den Fällen, in denen es von der Polizei bearbeitet wird, ziemlich dämlich ist. Also vom Täter. Denn oft genug macht es dann: Zack! Und die Falle schnappt zu. Bei uns hat es vor zwei Jahren auch „Zack!“ gemacht. Der Stilfser hat zugeschlagen. Hat sich in unsere Herzen eingefräst, unsere Hirnwindungen zu Kehren gemacht, die über die normalen Kurven, die wir eigentlich hier tausendfach in einem der schönsten Landstriche Deutschlands direkt vor der Haustür haben, gemeinerweise einfach lachen. Zu dritt waren wir damals dort: Thomas, Alex, Eric. Um im Geburtsland der Vespa mal wieder ein bisschen Gemischduft in die Höhenluft zu bringen. Machen dort ja nimmer so arg viele.

Jetzt also die Neuauflage mit einer echt üppigen Truppe: Väter und Söhne, Bayreuther und die Gast-Stars aus Regensburg und Lüneburg, die seit Jahrzehnten die Liebe zur Vespa eint, inklusive Nebenliebe zu Lambretta, weil ja Vespa noch nicht komplex genug ist. Benzin-Buddies, Flammpunkt-Diskutierer, Düsennadel-Afficionados. Freunde. Denn 2024 soll es ja auf dem einen oder anderen italienischen Pass Änderungen geben, was auch gar nicht schlecht ist.

Wochen haben wir im Vorfeld geschraubt. Vorbereitet. Neue Reifen aufgezogen in großer Hektik. Düsen getauscht wegen der Höhenluft. Oder einfach abgewartet, was passiert. Immer die Wetterkarte im Blick. Ist ja auch so ein Phänomen des Zeitalters des überbordenden Wissens: Welche Regenwahrscheinlichkeit wird uns in der Folgewoche zu welcher Uhrzeit erwarten? Macht es dann überhaupt Spaß zu fahren? Antwort: Ja! Immer. Wenn die Jungs passen und die Maschinen laufen. Für beides gibt es einen dicken grünen Haken.

Denn nicht nur das Wetter spielt Mitte Juni mit, als hätte es nur auf die kehrensüchtige Zwölf inklusive unserem Mannschaftsfahrzeug gewartet, der 690er KTM mit Bernd im Sattel, von der du unterwegs nichts gesehen hast, bis er auf einmal wie ein Geist wieder aufgetaucht ist – mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Es werden auch rund 600 Kilometer purer Genuss an den drei Fahr-Tagen. In denen wir alles abgrasen, was rund um Mals im Vinschgau problemlos machbar ist: Natürlich mehrfach den Stelvio von beiden Seiten, den Umbrail, den Ofenpass. Und den Pass, der eigentlich fast noch ein bisschen geiler ist als der Stelvio: der Gavia.

Vor zwei Jahren war dieser Pass: Eine Mondlandschaft. Zumindest dort, wo das Band lief, das als Straße vorgegeben war. Löcher, Verwerfungen, Ausbrüche, Abbrüche. Für die Vespen mit acht oder zehn Zoll großen Schubkarren-Rädlein eine Herausforderung. Und eigentlich Abflug-Garantie. Und in dem Jahr? Gigantisch. Die haben das Ding scheinbar für uns neu gemacht. Zum großen Teil zumindest. Diese Fahrt hoch zum Gipfel ist wie Carven auf einer frisch präparierten Piste früh um 9, wenn du der erste bist, der die Spuren ziehen kann. Rausbeschleunigen aus der Kehre, reinbremsen in die nächste, reinlegen, Gas geben. Klack-klack-klack durch die längeren Kurven heizen in einer atemberaubenden Landschaft oberhalb der Baumgrenze. Genießen. Bis auf 2652 Meter Höhe, wo du vor dem Rifugio Bonetta ausrollst und die Glückshormone auf dem Lenker tanzen. Kurz vor dem Gipfel der Lago Bianco, auf dem auch jetzt, Mitte Juni, die Eisschollen schwimmen, neben der Straße ziehen sich Schneewände hoch. Hier oben ist es, wie beim Nachbarn Stelvio, gerade mal vier, fünf Grad warm, während in Bormio alle kurzärmelig und in knappen Kleidchen im Caffè sitzen.

Apropos sitzen: Der Respekt sitzt dir hinten mit drauf, wenn du auf der anderen Seite des Gavia wieder runter fährst nach Ponte di Legno. Dann ahnst du schnell, warum der Gavia als anspruchsvoller, als gefährlicher gilt als der Stelvio. Die Straße schmal, die Kehren noch enger. Die Straßenbegrenzung noch weniger vorhanden. Und der Abgrund irgendwie abgründiger. Dafür ein Feuerwerk in Grün ab dort, wo das Geröll aufhört, an den Hängen. Und ein Tunnel, das man auch mal gesehen haben muss. Beziehungsweise: Darin nichts gesehen. Ein derart schwarzes Loch gibt es sonst wahrscheinlich kein zweites Mal in den Alpen, wo unerschrockene Rennradfahrer, die hier alles in Grund und Boden heizen, mit 80 an dir vorbeifliegen und interessanterweise auf der anderen Seite auch wieder in der gleichen Form rauskommen. Spannend, dass der Tunnel nach einem Unglück mit 20 Toten in den 50er Jahren gebaut worden ist, um eine Gefahrenstelle zu entschärfen. Der Gavia in seiner Gesamtheit: Ein Erlebnis, das dir allerdings auch wieder ein bisschen Demut beibringt – auch wenn „Angst uns hier auch nicht weiterbringt“, wie ein bekannter Benzin-Philosoph vor kurzem postuliert hat.

So grast die Scuderia Stelvio ihr Revier ab, fällt als Vespen-Schwarm immer wieder konzentriert an Tankstellen ein, deren Tankwarte uns am zweiten Tag schon mit einem Grinsen begrüßen – die Autofahrer eher mit rot unterlaufenen Augen. Denn bis die paar Liter in die Tanks gezapft sind und das Öl abgemischt ist, kann das schon das eine oder andere Minütchen dauern. Und während so manche ambitionierte Rennradfahrer an den Pässen doch den einen oder anderen Fluch hinter dem blauen Dunst aus elf zweitaktenden Box-Auspuffanlagen herschicken, wenn die Scuderia an ihnen vorbeigeflogen ist, fliegt uns die Liebe vieler entgegen, die es dann trotzdem irgendwie spannend finden, dass die Formel aus kurzem Radstand, ordentlich Leistung, engem Wendekreis und wenig Gewicht im Ergebnis bedeutet: Weder rauf noch runter gehörst du hier in den Kurven und Kehren zu den Schwachen, zu den Opfern mit der Vespa. Daumen hoch, Anerkennung, interessierte Fragen, echt nette Gespräche. Und vor allem so viele, die sich als Vespisti seit früher Jugend an offenbaren. Nicht nur der Chef des Hotels Watles, der die Scuderia begeistert empfängt und in seinem Museum Handverlesenes präsentiert – mit spontaner, privater Extra-Führung.

Auch beim täglich obligatorischen Tour-Abschluss-Spritz mitten in Burgeis wird gefachsimpelt mit denen, die inzwischen längst auf E-Bike umgestiegen sind, aber eben doch noch ein Faible – oder „eine Vespa ganz hinten im Keller“ – haben. Dass die Vespa in all den Jahren nichts an Faszination verloren hat, zeigt auch das Gespräch mit einem alten Mann – vielleicht 85 oder 90 Jahre – der hoch oben über Mals am Klosterhof Planöf seiner Tochter ganz begeistert die Unterschiede zwischen dem erklärt, was da vor den beiden steht. Er kann sie alle durchdeklinieren. Die 125er, die 150er, die 180er Super Sport. „Ja“, sagt er, „die PX, die war dann später dran. Auch nicht schlecht.“ Aber ganz besonders gern erinnere er sich an an seine erste Vespa, „die V50 mit dem runden Licht. Ein Kennzeichen hat man damals nicht gebraucht. Mit der bin ich immer auf die Arbeit gefahren. Jeden Tag. Vier Kilometer hin, vier Zurück. Und sparsam war die“, sagt er. „Super mit dem Gemisch und fünf Liter im Tank. Ich musste nur alle zwei Monate neu tanken.“ Natürlich ist er später auch größere Vespen gefahren. „Damals, da gab es ja auch die Lambretta. Die war ein bisschen stabiler, wenn man zu zweit den Stilfser hochgefahren ist. Der war ja damals nur Schotter und gepflastert in den Kehren. Aber der Motor … Das war viel komplizierter als die Vespa. Eine schöne Zeit“, sagt er.

Die brennt sich auch bei uns ein, die schöne Zeit. Drei Tage voll mit Erlebnissen, Genüssen, Südtiroler Spezialitäten, gejagten Tornanten – und keiner einzigen Panne, trotz der Tatsache, dass die meisten Kisten mindestens 50 Jahre auf dem Blech haben. Klar, ein bisschen geschraubt haben wir schon auch. Aber eher so zur Prophylaxe. Zur Wiederbefestigung. Zum Abschmieren. Weil es einfach dazugehört. Sonst könnten wir ja auch mit einem neuzeitlichen, wartungsfreien, lambdageregelten Plastikbomber rumfahren. Und wer will das? Keiner! Eben!

Zeit, wieder an den Tatort zurück zu kehren. Nächstes Jahr. Oder einen neuen zu suchen. An dem die Kehren dafür sorgen, dass die Falle zuschnappt.