Project Description
Stelvio – nächster Halt: Gavia!
Eigentlich ist es ja ein bisschen gaga. Und genau deshalb so irre schön. Der alte Hotelchef des Maraias in Mals im Vinschgau bekommt leuchtende Augen. „Mit der Veschpa“, sagt er, sei er früher auch immer „rauf und runter. Rauf und runter.“ Das Stilfser wollen wir hoch, sagen wir ihm. Weil wir schon ein bisschen Respekt haben. Über die Bedüsung haben wir vorher gefachsimpelt. Ob das, was wir in unseren Kurven rund um Bayreuth so fahren, bergauf und bergab – was ja eigentlich auch nicht so zu verachten ist, was man so vor der Haustür hat – nicht vielleicht ein bisschen zu fett ist für die über 2000 Höhenmeter mehr. „Schaffen die schon“, sagt der alte Mann, lacht und wünscht uns viel Spaß. Werden wir haben.
Anders als die wilden Jungs und Mädels aus den 60er Jahren reisen wir – Alex, Thomas und Eric – vergleichweise luxuriös an. Die Vespen im Hänger und im VW Bus von Thomas. Auch nicht mehr ganz junge Damen, die 180 Super Sport, die GL und die VNA. Alter zwischen 57 und 63 Lenzen. Das Ziel: Kurven jagen. Zwei Fahrtage. Diesmal nicht die Dolomiten, diesmal soll einer der schönsten Alpenpässe mit dabei sein. Das Stilfser Joch. Drei von vielen, die hier das Abenteuer suchen. Adrenalin durch den Körper schicken wollen. Höhenluft reinpumpen. So wie jeden Tag Tausende andere, die das Joch anpeilen. Tausende Radler, die sich unterwegs die Kraftnahrung reindrücken. Die starren Blickes das Ziel vor Augen haben, rüber wollen über die Baumgrenze, über ihren Kraft-Zenit. Oder die Motorradfahrer, die ihre GSen, ihre Multistradas oder Monster elegant durch die Kehren drücken – oder fette Chopper mit langen Radständen mit funkensprühenden Fußrasten durchschicken. Vespa? Sieht man nur in homöopathischer Dosis hier oben.
Wir hatten uns vorsichtig rangetastet. Eine Tagestour geplant. Rüber übers Joch, dann nach Livigno. Sollte ja reichen. Aber: Nö. Livigno wird nach einem stolzen Gipfel-Seidla auf dem Stilfser nur der Mittagspausen-Stopp des ersten Tages. Pizza zollfrei, Fiebermessen vorher inklusive. Ja, Corona ist auch im Sommer 2021 ein Begleiter, der zur Vorsicht mahnt. Die teuersten dreikommedrei Kilometer folgen nach der günstigen Pizza: Der Munt-la-Schera-Tunnel, der das Engadin mit Italien verbindet. 39 Fränkli für die drei Vespen, aber eine coole Fahrt durch eine feuchtwarme Röhre. Und da es so schön ist, geht es halt wieder über Umbrail und Stilfser zurück ins malerische Vinschgau mit seinen kleinen Gässchen, den wunderschönen, alten Häusern mit ihren jahrhundertealten Heiligen-Bildern an den Wänden. Und den endlosen Apfelplantagen an den Straßen, die zum Teil vom Reschen-See bewässert werden.
„Den Gavia müsst ihr unbedingt machen, wenn ihr schon dort seid“, schreibt ein alter Bekannter am Abend. Gavia? Machen wir! Deshalb steht der Plan für den nächsten Fahrtag: Rüber übers Stilfser Joch, diesmal von Prad aus. Der irren Seite mit den noch engeren Kehren und den charakteristischen Mauer, die beim Hochfahren Gänsehaut machen. Sicherheitshalber wechselt Thomas den Kupplungszug, der nur noch an ein paar Fäden hängt. Der einzig echte technische Zwischenstopp in einer malerischen Kulisse auf über 2500 Metern Höhe. Trotz tausender Schaltvorgänge auf den fast 400 Kilometern und unzähligen Höhenmetern, die die Vespen schrubben müssen. Die Bremsen halten durch, die Dämpfer machen mit.
Über Bormio nehmen wir den Gavia in Angriff. Sanft. Unspektakulär. So steigt er an. Um dann zur Teststrecke zu werden für alles, was nicht fest angeschraubt ist. Klar, dass die Jungs mit ihren Reise-Enduros nur sanfte Wellenbewegungen wahrnehmen. Die Vespa springt über die Wellen, Aufbrüche, die geschobenen Asphaltflächen wie ein junger Stier. Aber die Landschaft, die sich vor dir ausrollt, ist gewaltig. Vor allem hast du mehr Muße, dich ein bisschen umzuschauen. Es ist weniger los hier, der Verkehr geringer, alles ein bisschen entspannter. Und die Spaghetti auf der Malga dell‘ Alpe schmecken nach dem Höhenritt gleich noch einmal so gut.
Was neben der Landschaft glücklich macht: Die vielen Herzen, die dir auf der Vespa entgegenfliegen. Obwohl im Vinschgau – gerade in Mals – offenbar „jeder drei, vier Stück daheim hat“, wie uns einer beim Spritz am Abend in der Dorfbar erzählt, obwohl hier die Milchkanne mit der frisierten Ape den Berg hochrast und abends die Dorfjugend ihre 50 Spezial mit Wheelie Richtung Heimat jagt: Endlos viele Motorradfahrer recken uns die erhobenen Daumen entgegen, feiern die drei auf den Rollern, die sich fühlen dürfen wie die fabelhaften Vespa-Boys, die das kleine Abenteuer in ihre Gedächtnis-Bücher eintragen können. Was ganz klar nach mehr schmeckt. Am letzten Abend geht der Blick schon aufs nächste Jahr. Die Dolomiten wären vielleicht was. Oder doch zum Lago? Auf der Achse – so wie es der Nachwuchs macht, der tropfnass ankommt. Mit einem Grinsen im Gesicht. Weil es logisch ein bisschen gaga ist. Aber genau deshalb so wunderschön.